Ein radikaler Neuanfang

Von Gabriele Zimmer

Am 11. November 1989 machte sich die Suhler Parteibasis mit einer Kundgebung Luft und forderte die Erneuerung der Partei. Von da an übernahmen wir in den Betriebsgruppen und der Kreisorganisation das Ruder und wählten »unsere« Delegierten zum Außerordentlichen Parteitag in Berlin. Wir waren aufgebracht, zornig und unerfahren. Die Debatte auf dem Parteitag war heftig, emotional. Die Rede Michael Schumanns zum notwendigen Bruch mit jeglicher Form des Stalinismus, die Entscheidung, sich als Partei des demokratischen Sozialismus zu erneuern, eröffneten eine Chance, die wir nutzen mussten. In Suhl streikten im Januar die Beschäftigten »meines« Betriebes gegen die SED, forderten ihre Auflösung und Enteignung, die Schließung der Bezirkszeitung. Massenhafte Austritte erzwangen einen radikalen Neuanfang. Eine Entschuldigung der Partei gegenüber den Menschen in der Republik reichte nicht. Wir mussten beweisen, wie ernst es uns war. Uns selbst verändern. In einem von Zweifeln, Widersprüchen, Rückschlägen geprägten schmerzhaften Lernprozess. Wir wollten die Erneuerung von einer Partei des »demokratischen Zentralismus« hin zu einer emanzipatorischen Partei, die mit Herrschafts- und Allmachtstrukturen bricht, offen für Bündnisse ist. Einer Partei in Bewegung. Die den Mitgliedern volle Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte gibt, das Fraktionsverbot aufhebt, Arbeits- und Interessengemeinschaften fördert. Und vor allem einer Partei, die Frauen nicht mehr mit einer Alibirolle abspeist, die sich zu Demokratie und Menschenrechten bekennt. Wir haben als PDS viel erreicht, auch wenn uns viele Mitstreiter*innen verließen. Der Finanzskandal 1990 und Rückschläge bei der Aufarbeitung unserer Geschichte erschütterten mühsam aufgebautes Vertrauen. Es waren aber immer wieder die Partei-Mitglieder, die in den Kommunen, in den Ländern schafften, was viele vorher nicht für möglich hielten: die Veränderung von einer stalinistisch geprägten Apparatestruktur zu einer demokratisch sozialistischen Mitgliederpartei. Erfahrungen, die stärker in die Neugründung der Linkspartei hätten einfließen müssen.